«Montreal 1976 war ein grossartiges Erlebnis»
Der ehemalige Uerkner Bahnrennfahrer Walter Bäni (64) blickt für den «Landanzeiger» zurück auf seine Olympia-Teilnahme im Jahr 1976 in Montreal. Was er damals alles erleben durfte, davon können viele Sportlerinnen und Sportler in Tokio zurzeit nur träumen.
Die Olympischen Spiele in Tokio wurden vor einigen Tagen eröffnet. Dabei werden viele schöne Erinnerungen an mein eigenes Olympia-Abenteuer wach. 45Jahre ist es her, aber ich weiss noch so viele kleine Details. Es war ein grossartiges Erlebnis!
Immer schon war Olympia für Sportler eine Art «Ritterschlag». Wer es nie an die Olympischen Spiele schafft, der hat etwas verpasst. Und doch tun mir die heutigen Athleten etwas leid. Olympia ohne Zuschauer, da fehlt die Stimmung, es ist einfach nicht dasselbe. Ich hoffe, die Athleten können sich dennoch freuen. So wie ich damals: Die 57 Schweizer Teilnehmerinnen und Teilnehmer, all die Sportgrössen der damaligen Zeit, versammelten sich in Kloten, um gemeinsam nach Kanada zu fliegen. Von ihnen hatte ich wenige Jahre zuvor noch Autogramme gesammelt, nun gehörte ich selber zu dieser Elite.
Andere Schweizer gesiezt
Ich war 19 und konnte es kaum glauben. Vor lauter Ehrfurcht sagte ich zunächst zu allen Sie! Für die Dauer der Spiele (drei Wochen lang) wohnten wir gemeinsam im Olympischen Dorf, und nach der Schlussfeier flogen alle zusammen wieder nach Hause. Wir sechs Radrennfahrer teilten uns ein winziges Appartement mit Etagenbetten mit den zwei Judokas. Ich hatte das Glück, bereits am fünften Tag im Einsatz zu sein. Danach konnte ich mehr als zwei Wochen lang den Geist der Spielegeniessen. Ich besuchte andere Wettkämpfe, ging im Olympischen Dorf ins Restaurant, ins Kino oder in die Disco und lernte Sportler und Sportlerinnen aus der ganzen Welt kennen. Auch bei den glanzvollen Eröffnungs- und Schlussfeiern durfte ich dabei sein. Ich bekomme heute noch Gänsehaut, wenn ich daran denke. Heute reisen die Athleten so kurz wie möglich vor ihrem Einsatz an und müssen Tokio, nach Beendigung ihres Wettkampfs, nach maximal 36 Stunden wieder verlassen. Wie schade, sie verpassen einiges.
Nie mehr vergesse ich den Tagmeines Wettkampfs. Ich wartete auf das Startkommando, und mir wurde bewusst: Dies war der Moment, von dem ich jahrelang geträumt hatte. Gleich würde ich im voll besetzten Stadion ganz alleinmeine Runden drehen. Ichwusste, dass praktisch alle Einwohner von Uerkheim jetzt vor dem Fernseher sassen und mir die Daumen drückten. Und ich wollte ja eine Medaille gewinnen. So viel Druck! Am liebsten wäre ich davongerannt, möglichst weit weg, auf eine einsame Insel in der Südsee.
Ich tat es dann nicht, sondern trat im Velodrome mit voller Energie in die Pedalen und «strampelte» die 1000 Meter ab. Am Ende wurde ich Achter, heute gibt es dafür ein Olympisches Diplom, damals bekamen das nur die ersten sechs. Ich weiss nicht, ob sich mein Leben verändert hätte, wenn ich eine Medaille gewonnen hätte. Aber zu erleben, wie man sich als kleiner Star fühlt, das war auch mir gegönnt.
Unvergesslicher Empfang
Der Empfang, den mir mein Heimatdorf Uerkheim bereitete, gehört zu den schönsten Erinnerungen meines Lebens. Per Oldtimer wurde ich durchs Dorf gefahren und durfte den Leuten am Strassenrand zuwinken. Auf dem Schulhausplatz gab es eine grosse Feier mit der Musikgesellschaft, dem Jodlerchörli, dem Männerchor und vielen Festrednern. So manches Autogramm durfte ich schreiben, und meine Beliebtheit bei den Mädchen stieg schlagartig an. Später wurden wir auch im Bundeshaus in Bern von Bundespräsident Rudolf Gnägi empfangen. Lange stand beim Dorfeingang in Uerkheim eine grosse Tafel «Herzlich willkommen Walter Bäni». Ich habe all das genossen. Aber ich war auch froh, als nach ein paar Wochen wieder Normalität einkehrte. Viele Spitzensportler möchten auf dem Höhepunkt der Karriere zurücktreten. Hätte ich danach gehandelt, hätte ich mit 19 aufhören müssen. Im selben Jahr Zweiter der Weltrangliste, zwei Schweizer-Meister- Titel, fünf Schweizer Rekorde, einen Beinahe-Weltrekord und einen 8. Platz bei Olympia, das erreichte ich nie mehr.
Für mich war mit 22 die Zeit des Abschieds gekommen. Weil ich etwas anderes machen wollte: eine Rucksack- Weltreise! Natürlich kamen mir auch Zweifel an meinem Entschluss. Endgültige Klarheit erhielt ich im Südseeparadies Bora-Bora. Dort dachte ich an meine Kollegen der Nationalmannschaft, die nun in der härtesten Trainingsphase für die Olympischen Spiele von Moskau 1980steckten. Ich nahm einen weiteren Schluck meines gekühlten Drinks, streckte mich auf dem Liegestuhl, blinzelte in die Sonne und wusste: Mein Entscheid war richtig: der, für den Traum einer Olympiateilnahme auf vieles zu verzichten, und der, vom Velo zu steigen und im Leben auch noch andere Projekte anzupacken.
Eindrücke aus Walter Bänis Fotoalbum
Zur Person
Walter Bäni (17. Februar 1957) ist in Uerkheim geboren und aufgewachsen. Er hat als Radrennfahrer in der Disziplin Kilometerzeitfahren an den Olympischen Spielen von Montreal 1976 den8. Rangbelegt. Fast 30 Jahre lang lebte er in Davos, wo er bei der «Davoser Zeitung» als Sportredaktor tätig war, ehe er sich 2007 selbständig machte. 2017 zog er ins Zürcher Oberland. Nun kommt er zurück in seine Heimat. Ab Ende Oktober wohnt Walter Bäni in Schöftland.