Ausserordentliche Generalversammlung
Es wird Frühling, alles schimmert, nur die Kiefer quietscht und wimmert, jammert über Winterschäden — muss zum Kieferorthopäden. Mit diesem fröhlichen Frühlingsgedicht von Wiglaf Droste begrüsse ich Sie zur Generalversammlung vom Verein Frühling. Wie Sie wissen, ist dies eine ausserordentliche Generalversammlung. Wir kommen gleich zu Traktandum zwei. Herr Winter vom Verein Winter hat reklamiert, wir hätten den Frühling dieses Jahr zwei Wochen zu früh gestartet. Nicht zum ersten Mal in den letzten Jahren. Wir vom Vorstand haben dies überprüft und festgestellt, dass der Winter recht hat. Wir haben ein Entschuldigungsschreiben und einen bunten Frühlingsstrauss in den Norden geschickt. Die Sache sollte damit erledigt sein.
Im Gegenzug haben wir an Frau Sommer vom Verein Sommer eine Protestnote verfasst, weil wir bereits im April zahlreiche Sommertage mit Temperaturen zum Teil weit über der Limite von 25 Grad gemessen haben. Frau Sommer entschuldigt sich bei uns in aller Form und verspricht Besserung.
Im Vorstand haben wir die Problematik analysiert und uns exemplarisch die letzten sieben Tage angeschaut. Wir massen Temperaturen von allen vier Jahreszeiten! Am Wochenende hatten wir Sommer, dann fielen wir vom Herbst in den Winter. Es herrscht ein riesiges Durcheinander. Wir stellen fest: Dem Verein Frühling ist es nicht mehr möglich, den Frühling vom März bis Mai durchgehend zu garantieren. Das Klima verändert sich und wie wir alle wissen, macht das Wetter, was es will. Aus diesem Grund, und somit komme ich zum Haupttraktandum, beantragen wir die Auflösung des Vereins Frühling.
So schreiten wir zur Abstimmung: Wer für die Auflösung des Vereins Frühling ist, hebe die Hand — ich stelle Einstimmigkeit fest.
Wir erheben uns und ich verlese als letzte Amtshandlung ein letztes Mal sozusagen unsere Nationalhymne, das Frühlingsgedicht «Er ist’s» von Eduard Mörike: Frühling lässt sein blaues Band wieder flattern durch die Lüfte, süsse wohlbekannte Düfte streifen ahnungsvoll das Land, Veilchen träumen schon, wollen balde kommen. – Horch, von fern ein leiser Harfenton! Frühling, ja du bist’s! Dich hab ich vernommen!