Glasnegative erzählen vom traditionellen Dorfleben
Das eine Bild wurde im Dorfteil Rombach aufgenommen, wenig oberhalb des heutigen Restaurants Ascott, wo die Neue Stockstrasse von der Bibersteinerstrasse abzweigt. Der erfolgreiche Schütze Hans Blattner präsentierte sich vor rund 100 Jahren stolz mit Gewehr und Kranz-Urkunde. Damals war er nicht nur mit dem Familiennamen Blattner bekannt, sondern zusätzlich mit seinem Dorfnamen «Pfeiffersattlers». Bereits als 20Jjähriger hatte er 1893 Elisabeth Egger geheiratet. Er arbeitete als Buchbinder in der nahen «Cartonagefabrik» bzw. «Geschäftsbücherfabrik Rombach» von Peter Lüscher senior und später in der Buchdruckerei Trüb in Aarau.
Perfekte Voraussetzung
Hans Blattners Freund oder Schwager, der Buchdrucker Rudolf Bircher «Gärtners», fotografierte ihn mehrmals und entwickelte die Bilder im improvisierten Labor am Waldweg 1 / Ecke Alte Stockstrasse (heute Familie Suter). Durch Zufall sind 265 von ihm in ausgeklügelter Weise hergestellte Glasnegative erhalten geblieben und werden nun im Dorfmuseum von Küttigen aufbewahrt. Das hervorragend geratene Foto zeigt auch noch ein interessantes historisches Gebäude im Hintergrund. Das markante Wohnhaus mit doppeltem Kreuzfirst wurde vor genau 200 Jahren von Gottlieb Blattner erbaut. Gemäss Einträgen bei der Gebäudeversicherung zählte dazu auch noch eine Scheune mit Stall. Es betätigte sich also wie die meisten Landwirte im Nebenerwerb als Handwerker, in seinem Fall als Schuhmacher, die einer weiteren Arbeit nachgingen. Das Backsteingebäude wurde mit einem Gewölbekeller und in fortschrittlicher Art mit einem Ziegeldach ausgestattet. Es befindet sich an der Bifangstrasse 32 / 34, muss aber voraussichtlich 2024 einem Neubau weichen.
Portrait seiner Schwester
Zuhinterst am Waldbachweg 5 in Küttigen steht ein mehr als 200-jähriges Haus, das bis 1925 der Familie Bircher «Gärtners» gehörte. Das ursprüngliche Bauernhaus wurde 1989 stilvoll renoviert. Der Fotograf «Gärtner Ruedi» wurde hier 1876 geboren, heiratete 1904 Marie Blattner und blieb mit ihr bis 1912 im Elternhaus wohnhaft. Auf einer A5 grossen beschichteten Glasplatte lichtete er um 1900 seine zwei Jahre jüngere Schwester ab. Die sonntäglich gekleidete «Gärtner Luise» musste sicher mehrere Sekunden lang still und geduldig zur Kamera blicken, welche von ihrem Bruder sorgfältig bedient wurde. Er stand gebückt hinter dem Dreibein-Stativ und hielt den Kopf unter einem schwarzen Tuch verborgen. Luise Bircher posierte an der Südwand des Hauses beim angrenzenden Baumgarten. Hier in der sonnseitigen «Hofstatt» waren 10 Bienenkörbe aus Stroh und ein kleines Bienenhaus aufgestellt. Offensichtlich stellte die Imkerei einen wichtigen Nebenerwerbszweig dar.
Dem erfinderischen Rudolf Bircher, einem Pionier der Fotografie, verdankt die Gemeinde Küttigen historisch interessante Ansichten aus dem damaligen Bauerndorf. Die Glasnegative waren auf unbekannte Weise in den Horenhof gelangt und von hier – es war ein Glücksfall – von «Horepuure» Roland Bolliger der Kommission Kulturgut Küttigen übergeben worden. Kurt Graf