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Karotten-Marotten

Der Rüeblimärt zieht tausende Menschen aus allen Ecken der Schweiz nach Aarau. Sie alle schwärmen von den Düften, den farbenfrohen Ständen und den süsslichen Karotten-Aromen. Auch ich besuche den Rüeblimärt jedes Jahr und lasse mich ebenso von den kreativen Karotten-Kunstwerken begeistern und geniesse die Düfte in der Luft. Nur beim Geschmack kann ich nicht mitreden. Denn ich habe keine Ahnung, wie ein Rüebli schmeckt. Ich habe eine Rüebli-Allergie, bei der mir wortwörtlich die Luft wegbleibt.


Wenn das Leben dir keine Rüebli gönnt … Und deswegen ist mein Besuch am Rüeblimärt auch immer ein Besuch in meine Fantasiewelt, in der ich mir den Geschmack des Rüeblis vorzustellen versuche.
Vor mir beisst ein kleiner Junge enthusiastisch in eine orange leuchtende Möhre. Das Karottengrün wippt dabei anfeuernd wie die Pompons eines Cheerleaders mit seinen Bewegungen mit. Ich nehme das Ganze wie in Zeitlupe wahr. Wie schön wäre es, wie er das Knacken zwischen den Zähnen zu spüren. Ich verliere mich in meiner Fantasie. Wie es wohl wäre … bis ich merke, dass ich den Jungen schon viel zu lange anstarre. Beschämt gehe ich weiter.


Vorbei an Rüeblitorte, Karottenbrot und Rüeblichips komme ich bei einem Marktstand mit einem riesigen Berg Rüebli zum Stehen. Die verschiedenen Farben verschwimmen vor meinem Auge und ich drifte wieder in meine Fantasie ab. Dort schmeckt das violette Rüebli nach Rande und das gelbe nach Ananas. Mit «Was kann ich Ihnen einpacken?» werde ich aus meinen Gedanken gerissen. Die Frau vom Marktstand steht mit leerer Tüte bereit, meine Bestellung aufzunehmen. Gefühlt ertappt, winke ich ab und gehe schnell weiter.


Und dann kommt der Stand, der mich jedes Jahr in seinen Bann zieht. Der Stand, bei dem live und vor Ort Rüeblisaft gepresst wird. Die Presse brummt und das Gefäss füllt sich mit dem orangen «Energiedrink». Tropfen für Tropfen für Tropfen für Tropfen … In meiner Fantasie schmecke ich Orangensaft auf meinen Lippen. Weniger Säure, mehr Süsse, versuche ich mir den Geschmack des Rüeblisafts im Kopf zusammenzumixen. Doch wie jedes Jahr wird es mir nicht gelingen.


Ich schüttle meinen ganzen Körper aus den Gedanken. Es reicht mit Kopfkino! Ich brauch was Echtes. Etwas, von dem ich genau weiss, wie es schmeckt und wie es zu schmecken hat. «Eine Bratwurst, bitte!», sag ich deshalb am Stand der Metzgerei Berchtold. Sarah Moll