«Angst ist immer der schlechteste Berater. Es wird Zeit, aus der Defensive zu kommen»
Chris von Rohr ist wohl einer der bekanntesten Schweizer Musiker. Der «Meh-Dräck-Druide» liefert auch mit 70 Jahren noch ab: 2021 mit Krokus ein Nummer-1-Album. Dazu seit 25 Jahren eine der meistgelesenen Kolumnen des Landes und mittlerweile fünf Bücher. Der Rock-Philosoph zum Endjahres-Gespräch.
Was wünschst du dir fürs neue Jahr?
Chris von Rohr: Einen Seelenbooster für all die Menschen, die zurzeit so verunsichert, ängstlich oder alleine sind. Ich wünsche mir nebst Gesundheit vor allem, dass die Panik und die Hetzereien in unserem Land enden. Das Leben ist zu kurz und wertvoll, um es in Furcht oder Hass zu verbringen.
Und wie war Weihnachten?
Chris von Rohr: Als ewiger Romantiker und Kerzenfreund liebe ich diese Stimmung rund ums Lagerfeuer. Weihnachten bleibt für mich ein Fest der Hoffnung und des Staunens.
Wie erlebst du die Corona-Zeit?
Chris von Rohr: Natürlich macht es keine Freude, wenn alle grösseren Konzerte abgesagt werden. Aber das wird sich ändern, jammern bringt nichts. Schaut nur mal, wie’s die Gastbetriebe und andere getroffen hat. Zum Glück kann ich zu Hause spielen, schreiben oder fitten. Sehr viele Menschen stehen extrem unter Druck, haben Angst oder werden ausgegrenzt. Mich beunruhigt diese zunehmende Spaltung unserer Gesellschaft. Wir müssen zu einer offenen Gesprächskultur zurückfinden, wo alle Stimmen gehört werden. Ich hoffe da auf baldige Besserung und Versöhnung. Auch vonseiten der Panikschür-Medien. Für Kinder, Jugendliche und ältere Menschen sind diese ewigen, angstgetriebenen Horrorbotschaften psychisch eine Katastrophe. Das fördert nur Wut und Depression. Es ist auch an der Zeit, das gesamte Gesundheitswesen genauer zu beleuchten. Ich erwarte vom teuersten Krankensystem der Welt, dass es dieses Impfchaos schlüssig erklärt und genug Intensivbetten (im Kanton Jura sind es gerade mal 6!), inklusive besser bezahlten Pflegepersonals, stellt. Warum man es zugelassen hat, dass während dieser zweijährigen Krise sogar Betten abgebaut wurden, versteht weder Mensch noch Prämienzahler.
Wie schützt du dich?
Chris von Rohr: Ich bin genesen, stärke mein Immunsystem, vermeide zu viele Kontakte und bleibe im Moment meist zu Hause.
Was genau bedeutet eigentlich das Wort des Jahres 2004 «Meh Dräck» für dich heute?
Chris von Rohr: Ich meine damit, wenn wir nicht über Musik reden, mehr ehrliche, echte Natürlichkeit und Offenheit. Auch mehr Mut, Risiko und offenes, unbetreutes Denken, wo Rede und Gegenrede angstfrei gepflegt werden. Und ja: In unserer Zeit braucht es mehr denn je meh Dräck. Die Pandemie hat uns zu ängstlich und verwirrt gemacht.
Wie meinst du das?
Chris von Rohr: Wir sind in eine ungesunde Defensive geraten. Ich will Corona weiss Gott nicht kleinreden, aber es wird Zeit, dass wir da rauskommen und ein gesundes Verhältnis dazu finden. Der grosse Denker Peter Sloterdijk sagte es letzthin richtig: «Mich stört der Zynismus gegenüber jenen, die nicht an Corona, unkommentiert sterben. Man sollte Statistiken konsultieren. In Deutschland sterben täglich im Schnitt 2600 Menschen. Coronaopfer sind darunter weit unter 100. Das zeigt ein schlimmes Ungleichgewicht und wirkt wie eine Verhöhnung gegenüber den Krebs- oder Herz- und Kreislauftoten.» In der Schweiz ist das nicht viel anders. Ich wünsche mir hier eine Beruhigung und endlich faktentreuere Veröffentlichungen der wirklich relevanten Zahlen. Nicht nur Inzidenzen, sondern auch Verläufe, Alter, Vorerkrankungen, Genesene, Impfdurchbrüche und Nebenwirkungen. Mehr nachhaltige Information und Transparenz würde den Druck vom Kessel nehmen und zu neuen Erwägungen und betrachtenswerten Alternativen führen. Es gibt viele Wege zum Ziel und Angst war schon immer der schlechteste aller Berater.
Wie hältst du dich eigentlich fit?
Chris von Rohr: Stretching, Crosstrainer, Fussball, Tennis, gesundes Essen, genug trinken, frische Luft, bewegen und lieben (lacht). Wer liebt, lebt. Ich schrieb gerade eine Kolumne zu dem Thema. Die Liebe ist eine unglaubliche Triebfeder. Wegen ihr begannen wir mit der Musik, ihretwegen bin ich noch frisch und freudig. Ihr verdanke ich alles. Dazu gehörte auch die Liebe meiner Eltern, die ich erfahren durfte. Das sind meine Wurzeln.
Das Herz ist mein Kompass, sagst du. In welche Richtung zeigt dein Kompass?
Chris von Rohr: Nebst der Musik und dem Schreiben Richtung Freude und Dankbarkeit, dass ich noch so gesund und beseligt leben kann.
Du hältst deine neue Partnerin aus den Medien. Wer ist sie?
Chris von Rohr: Nur so viel: eine auf allen Ebenen kluge, witzige und schöne Frau. Meine Muse und mein Sonnenschein im Nebelmeer. Es ist ein Riesenglück, dass wir uns gefunden haben und nun schon bald zwei Jahre zusammen dieses Leben und diese Tiefe erleben dürfen. Kürzlich hat sie mich zum ersten Mal im Schach geschlagen. Grossartig! Gemeinsam die Schätze des Lebens zu heben, freudig und zuversichtlich in diesen Zeiten zu bleiben, um das geht es doch.
Was macht eine erfolgreiche Beziehung?
Chris von Rohr: Es hilft sicher nicht nur am selben Strick, sondern auch in dieselbe Richtung zu ziehen. Das heisst ähnliche Lebensansichten, Interessen und Vorlieben zu haben. Dazu kommen der Humor und viele andere kleine Freuden. Man muss sich auch Vertrauen und Freiraum geben. Nur so funktioniert’s. Es ist doch das schönste Kompliment, wenn eine Frau dir sagt: Bei dir kann ich voll und ganz mich selbst sein.
Von dir gibt’s die berühmten Spaghetti Tornado – was ist da drin?
Chris von Rohr: Einiges an diversen Kräutern und Zutaten und wertige Teigwaren. Das coole Restaurant Fryhof in Solothurn wird das Rezept nächstens übernehmen. Es geht wie viel Gutes um die Sauce, um den Jus (lacht).
Ein Tipp für ein gutes Leben?
Chris von Rohr: Das Beste im Leben gibt es oft gratis. Die Natur, den Zauber der kleinen Dinge, die Liebe, die Feigen des Nachbars, Freundschaften. Glück ist nicht käuflich. Das muss man im Herzen kultivieren. Natürlich ist das Leben immer wieder eine Herausforderung. Da müssen wir nichts schönreden, gerade in diesen hektischen Zeiten. Aber ich halte mich da gerne an Hermann Hesse, der sagt: Gegen die Gemeinheiten des Lebens sind die besten Waffen: Tapferkeit, Eigensinn und Geduld. Die Tapferkeit stärkt, der Eigensinn macht Spass und die Geduld gibt Ruhe. Ich habe zum Glück diese verspielte Freude und Neugier, allem wie ein Kind zu begegnen, nicht verloren. Das hilft, kein «grumpy old man» zu werden.
Und wie müsste der Song heissen, der dein Leben bis heute auf den Punkt bringt?
Chris von Rohr: Ich weiss, es tönt etwas platt, aber es wäre wohl «My Way». Ich kenne kein Lied, der das bewegte, kurvenreiche Leben eines Menschen besser und emotionaler auf den Punkt bringt. Aber auch «What a Wonderful World» von Louis Armstrong bringt mein meist freudvolles Leben voll auf den Punkt. Ein magisches Lied.
Was ist cooler daran, 70 statt 30 zu sein?
Chris von Rohr: Udo Lindenberg schrieb mir zum Geburtstag: Welcome im Club der wild & easy seventies. Ich fühle mich heute definitiv easier und besser als mit 30, auch wenn hie und da mal was zuckt oder sticht und nach einem Fest der Hangover länger dauert (lacht). Ich kann das Leben, die Menschen und mein Dasein einfach mehr schätzen und geniessen.
Was gibt es sonst noch, das du in den nächsten 30 Jahren vor deinem 100. unbedingt noch tun oder erleben willst?
Chris von Rohr: Ich möchte meine Malerei, mein Gitarren- und Klavierspiel noch verbessern. Etwas mehr Sonne und hoffentlich erleben, dass sich diese Welt wieder einklinkt.
Krokus war mit Adios Amigos auf Abschiedstournee, als Corona und der Abbruch der Tour kam. Sänger Marc Storace hat darauf gesagt, wir werden diese Tour auf jeden Fall zu Ende führen. Da ist noch zu viel Spass und Power drin. Dabei bleibt es?
Chris von Rohr: Ich denke schon, wenn der Panikdoktor es erlaubt (lacht). Angebote und Spielfreude gibts genug.
16 Millionen verkaufte Tonträger mit Krokus und als Musikproduzent. Gold und Platin in den USA und Kanada. Was bedeuten dir Preise?
Chris von Rohr: Die schönsten Preise sind die der Fans. Also Gold, Platin oder Nummer 1 in der Hitparade. Aber auch einfach Briefe oder Mails, die bekunden, dass man einen guten, wertvollen Job macht, Mut und Freude verbreitet oder einfach offenen, ehrlichen Klartext spricht.
Die Gitarre und dein Klavier sind deine treuen Begleiter. Du spielst fast täglich. Was würde mit dir passieren, wenn du ein halbes Jahr darauf verzichten müsstest?
Chris von Rohr: Das wären sehr schlechte News, da Musik meine Medizin, meine Therapie ist. Ich und meine Umwelt würden darunter leiden.
Es heisst, was einen nicht umbringt, macht einen stark. Du hast gesagt, Krisen machen kreativ?
Chris von Rohr: Das ist so. Erfolg ist gefährlicher als Krisen. Im Erfolg passieren oft die grössten Fehler, weil man die Bodenhaftung verliert. Das sieht man nicht nur in der Musik, sondern auch in der Wirtschaft und Politik. In Krisen wirst du jedoch hellwach, kreativ und kämpfst. Dein Feuer brennt dreifach. Das hilft.
Heisst das, wer nie leidet, kann auch nie die Höhen des Triumphs erklimmen, sprich fühlen?
Chris von Rohr: Das hat was. Den einfachen, glatten Weg zum Erfolg gibt es nicht. Man muss bereit sein, alles zu geben, ohne Plan B. Ich rede oft mit meinem langjährigen Mitstreiter Fernando über unsere zähen Anfänge. Entbehrungen und etwas leiden formt auch den Charakter. Das ist im Preis inbegriffen, wenn man Grossartiges erreichen will.
Ein Erfolg sind auch deine Bücher. Pedro Lenz, wahrlich auch sprachbegabt, meint: Chris von Rohr hat einen unvergleichlichen Sprachsound, an dem man hängen bleibt. Ihn zu lesen, ist ein beinahe körperliches Vergnügen! Was gibt dir das Buch resp. hat dir das Schreiben gegeben?
Chris von Rohr: Reflexion und viel Arbeit – dagegen ist Musik machen ein Zuckerschlecken. Tausende Stunden Kopfarbeit. Umso schöner, wenn es am Schluss gelingt und die Leser es schätzen. Ich bekomme da sehr viel zurück.
Und werden wir noch mehr von dir lesen?
Chris von Rohr: Ich schreibe immer. Ob was daraus wird, wird sich zeigen. Qualität über allem. Ich bleibe dran.
Und wie siehst du die Zukunft?
Chris von Rohr: Auch wenn ich oft ins Zweifeln komme, will ich als Optimist nicht glauben, dass die Menschheit am Geschenk unseres Wohlstands, an der Gier der Reichen, an der Achtlosigkeit gegenüber Mutter Natur, an der Trägheit der Satten, an der Dummheit der Ausgebildeten und dem fehlenden Mitgefühl der Verhärteten zugrunde geht. Nein, ich bin kein Weltuntergangs-Bejubler, aber wir befinden uns klar in einem kritischen Stadium, wo gewisse Werte und Gepflogenheiten hinterfragt und justiert werden müssen. Der erste Schritt beginnt immer bei uns selbst. Mit Moralismus, Meinungseinfalt, Zwang, Druck und Schuldzuweisungen lässt sich die Welt und unser Leben nicht verbessern. Im Gegenteil.
Was bedeutet Glück für dich?
Chris von Rohr: Ein warmes Feuer, wenn dir nichts wehtut, eine Thai-Massage, ein Glas Rotwein und wenn meine Liebsten und Freunde happy sind.