«Das Wasser im Aargau ist Gold wert»
Auf den ersten Blick scheinen 1000 Hektaren (2000 Fussballfelder) sehr viel, die in den nächsten 20 Jahren im Kanton Aargau als Feuchtgebiete geschützt, respektive wiederhergestellt werden sollen.
Auf der anderen Seite steht diese Zahl: 14’000 Hektaren (28’000 Fussballfelder). Das ist die Fläche, die im Kanton Aargau an Feuchtgebieten verloren gegangen ist.
Der Kanton hat jüngst festgestellt, dass die verbliebenen Restflächen an Feuchtgebieten nicht ausreichen, um die Biodiversität dieser Lebensräume erhalten zu können. Die Ökosystemleistungen funktionieren nicht mehr in genügender Qualität und Quantität. Der Handlungsbedarf ist gross und eine Trendwende dringlich.
Aus diesem Grund hat Pro Natura Aargau im «Wasserkanton» eine Initiative lanciert, die folgende Ergänzung im Paragraph 42 der Verfassung des Kantons Aargau fordert:
Umweltschutz – a) Allgemeines
6. Kanton und Gemeinden sorgen zum Schutz und zur Vernetzung des Lebensraums Wasser dafür, dass innert zwanzig Jahren nach Inkrafttreten dieser Verfassungsbestimmung die zur Sicherung und Stärkung der Biodiversität erforderlichen Feuchtgebietsflächen geschaffen werden.
Über die beeindruckende Länge von 3000 Kilometern Gewässer verfügt der Aargau und ist nach Ansicht von Matthias Betsche, Geschäftsführer der Pro Natura Aargau geradezu prädestiniert, in dieser Sache eine tragende Rolle zu übernehmen. «Die Initiative kommt zur richtigen Zeit», sagt er, während er im Tannacherbach in Muhen nach Bachflohkrebsen Ausschau hält. In einem Sieb zappeln einige Tierchen, die sofort wieder freigelassen werden. «Die Krebse sind ein Zeichen für sauberes Wasser, diesem Bach geht es gut», freut sich Betsche.
Feuchtgebiete sind Kühlanlagen
Der Tannacherbach ist ein typischer Wiesenbach, der seinen Ursprung in der Chrumbweid und im Rütisgrabe, weit oben im Wald, findet. «Im Verlauf der Jahre wurde er zu Gunsten der Landwirtschaft, aber auch im Siedlungsgebiet kanalisiert und eingedolt. Nur an wenigen Stellen kommt er ans Tageslicht. Wo das Wasser sichtbar fliesst, bietet es zahlreichen Lebewesen Unterschlupf, Nahrung, Schutz und Kühlung, auch den Menschen», wie Betsche unterstreicht. «In dicht besiedelten Räumen wirken Gewässer wie eine Kühlanlage. Im Idealfall bestehen vom Hauptgewässer aus keine Hindernisse für wandernde Tiere. Wo das Wasser auf Wiesen und Feldern an der Oberfläche fliessen kann, entstehen auch Feuchtgebiete, die für Amphibien, Vögel und Insekten wichtig sind. Es entsteht ein Wasserspeicher, der den steigenden Bedarf nach Wasser deckt. Feuchtgebiete bieten auch einen natürlichen Schutz gegen Hochwasser, indem sie das Wasser wie ein Schwamm aufnehmen.»
Eigentlich würden mit der Initiative alle gewinnen, ist Betsche überzeugt, «denn das Wasser ist Gold wert». Doch es gibt auch Gegenwind. Der Bauernverband Aargau sagt, die Landwirte würden heute schon jährlich 400 Hektaren Biodiversitätsfläche schaffen und sieht den Handlungsbedarf eher im Siedlungsgebiet. In den Gemeinden muss jedoch verdichtet gebaut werden, weshalb es für Gewässer sehr eng wird. Matthias Betsche ist überzeugt, dass mit dem Zustandekommen und der Annahme der Initiative nicht neue Zwänge entstehen, sondern der Dialog gefördert wird. «Der Handlungsbedarf für die Umwelt und gegen die Klimaerwärmung ist unbestritten und wir schaffen ein Instrument, um für alle Beteiligten einen Kompromiss zu finden.» Statt viel Steuergeld in die Erneuerung von veralteten Entwässerungsanlagen zu investieren, um Feuchtgebiete trockenzulegen, unterstützen wir besser die Landwirte, die eine auf Feuchtgebiete angepasste Landwirtschaft betreiben. Mit der Wiederherstellung von Feuchtgebieten profitieren Mensch und Natur.»
Unterschriftensammlung läuft
Auch hier kann der Tannacherbach in Muhen als Beispiel herangezogen werden: Während weiter oben im Tal Potential bestünde, bereits bestehenden Feuchtgebiete durch Offenlegungen mehr Platz zu gewähren, habe sich da, wo der Bach frei fliesst, ein prächtiger Lebensraum entwickelt, der unbedingt bestehen bleiben muss. Da wo der Bach im Loch verschwindet, haben Planer die Pflicht, den Bachlauf in neue Projekte miteinzubeziehen und den Menschen im Siedlungsraum die Natur wieder etwas zurückzubringen. Die Unterschriftensammlung laufe gut, hält der Geschäftsführer der Pro Natura fest. Gut die Hälfte der 3000 nötigen Unterschriften wurden im ersten Monat bereits gesammelt.