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Die denkwürdige Geschichte des Steinbruchs Ritzer in Küttigen

Das 3 ha grosse Areal am Aabach verwandelte sich vor 50 Jahren vom Kalksteinbruch der Zurlinden Zementwerke in eine Kehrichtdeponie. Die 20 m tiefe Grube wurde nämlich von ca 1960 bis 1975 mit Abfällen aus Haushalten und Industrie aufgefüllt. Seither hat sie sich zum vielseitigen Sportplatz mit zwei Fussballfeldern und Tennisplätzen entwickelt.


Ein Glücksfall zum einen und ein Notfall zum anderen, denn seit Januar 2024 ist man daran, die ehemalige Deponie zu sanieren. Weil sich das abgelagerte Material aus den verschiedensten Substanzen zusammensetzt, rechnet man mit einem Dauerprojekt von vielen Jahren. Die Kosten trägt mehrheitlich die Stadt Aarau als Lieferant der Abfälle, daran beteiligt sich aber auch die damals als Abnehmerin entschädigte Gemeinde Küttigen.


In Küttigen begann der Aushub an Kalkstein kurz nach 1900, nachdem der ausgesprochen innovative Firmengründer Friedrich Rudolf Zurlinden die Zementwerke des Aarauer Industriellen Albert Fleiner übernommen hatte. Zurlinden musste den Kalkstein aus dem Steinbruch im Ritzer zur Verarbeitung nach Aarau in den Scheibenschachen transportiere, was kein einfaches Unterfangen war, denn anfänglich ging alles mit Pferden vor sich. Überraschenderweise sind noch etliche Zeugen dieser vor 100 Jahren betriebenen Zementwerke erhalten geblieben. Beispielsweise stehen an der Felswand im Westen blanke Kalkschichten an, die kürzlich mit Ankern gesichert worden sind. Auf dem 1923 entstandenen Foto sind mehrere Förderbänder in der Grube abgebildet. Eines brachte von der Felswand hinten die abgesprengten Bruchsteine nach rechts unten. Hier befand sich der Tunneleingang einer Transportbahn, welche das Material unter der Bibersteinerstrasse hindurch zur Mündung des Aabachs brachte.

Steinhauer Guidi bewahrte Dynamit auf

Zwei Kippwagen stehen heute neben dem Schopf von Familie Siegrists Hofladen und rosten still vor sich hin. Der Weitertransport geschah wiederum mit Wagen auf einer Rollbahn, ab 1907 per Seilbahn, aber stets von Pferden gezogen. Entlang des Wanderwegs nach Aarau bezeugen weitere halbe Kubikmeter grosse Fundamente, dass sich hier die Masten der Gondelbahn aneinander reihten. Unterwegs entdeckt man am Wegrand eine seltsame Kaverne mit Holztür. Kaum zu glauben, aber der dort wohnende Steinhauer Guidi bewahrte darin Dynamit auf, womit im Steinbruch gespengt wurde. Leider finden sich keine weiteren industriellen Zeugen mehr bis zum Scheibenschachen. Hier liess Zurlinden eine Seilbahn von der ehemaligen Zementfabrik zur Gais beim Bahnhof Aarau errichten. Damit gelangte der gemahlene Zement in Jutesäcken zum Verlad auf die Eisenbahn, in umgekehrter Richtung die importierte Steinkohle zum Zementwerk. Die Stützen der Seilbahn sind verschwunden, ebenso die Sacknäherei im Scheibenschachen und die beiden riesigen Backsteingebäude, die bis ca. 2010 noch hier standen. Die Zementproduktion in den Brennöfen und anschliessend mit Steinmühlen endete bereits 1928 und Friedrich Zurlinden starb 1932. Seine Nachkommen verlegten die Produktion schrittweise nach Auenstein, Veltheim und Wildegg.


Ab 2024 erfolgt nun wieder ein Aushub von Material im Ritzer, diesmal mit anderen Vorzeichen als vor 120 Jahren. Als Trost bleibt, dass das Terrain nach der aufwändigen Sanierung besser als vorher planiert sein wird und dass dann alle Sporteinrichtungen wieder vollumfänglich zur Verfügung stehen werden. An Bedarf fehlt es jedenfalls nicht. KURT GRAF

Ein solcher Kippwagen steht heute noch neben den Schopf von Familie Siegrists Hofladen.
Bild: ZVG