Hold my Aromat
Die Schweiz ist in Gefahr. So ähnlich musste denken, wer letzte Woche die Boulevardmedien las. In grösstmög¬lichen Buchstaben wurde der «Aromat-Notstand» verkündet. Die Würzmischung mit dem Knorrli auf der Dose und dem Glutamat als Inhaltsstoff stand in den Läden nicht mehr im Regal. Fotos von «besorgten Leserreportern» bewiesen den «Notstand». Von den Medien wurde kräftig Aromat-Salz in die Wunde der Volksseele gestreut.
«Ist das jetzt die vom Bund vorhergesagte Mangellage?», schoss es mir durch den Kopf und kalt den Rücken hinunter. Also wird der Winter doch noch ungemütlich?
Intermezzo 1: Erst kürzlich schrieb der geschätzte Kollege Oliver Schweizer vom ZT an dieser Stelle seine Kolumne mit dem Titel: «Als man Aroma noch mit t schrieb». Vielleicht ahnte der Kollege, dass es bald trendig und steil gehen könnte mit dem Aromat.
Intermezzo 2: Als ich vor Jahren von zu Hause auszog in meine erste eigene Wohnung, halfen Freunde beim Umzug. Eine Freundin entdeckte im Karton mit Küchensachen das Aromat – und hielt mir einen Vortrag, der mir unvergessen blieb. «Das Ding fliegt direkt in den Abfallsack!», verkündete sie und stellte mir eine Dose Herbamare ins Regal, die Sache mit dem Glutamat erklärend (nicht gut für die Gesundheit). Seitdem war das Aromat aus meinem Haushalt verbannt.
Bis vor ein paar Jahren. In der Ferienwohnung in den Bergen fehlte ein Streugewürz. Im Dorfladen gab es nur Aromat in kleiner Dose, wie fürs Puppenhaus. Zugegeben, es fühlte sich cool an, das kultige Gewürz über das Drei-Minuten-Ei zu streuen. Nach Jahren der Abstinenz kommt es heute in kleinen Dosen und kleiner Dose ab und zu wieder zum Einsatz.
Zurück im Hier und Jetzt darf man feststellen, dass es eine «Aromat-Notlage» nie gegeben hat. Die Geschichte war überwürzt, also versalzen und entpuppte sich als Preisstreit zwischen einem Grossverteiler und der Aromat-Herstellerin. Diese, also die Firma Knorr, wurde – hold my Aromat – 1838 in Deutschland gegründet und eröffnete 1907 in Thayngen SH eine Fabrik. 1953 verschenkte Knorr 30’000 «Menagen» mit Salz, Pfeffer und Aromat an Schweizer Gaststätten und Kantinen. So wurde das Aromat zum «Schweizer Kulturgut», wobei sich mir die «Ricola-Frage» stellt: Wer hats erfunden, die Deutschen oder die Schweizer?
Kaspar Flückiger, Redaktor