Mit den «Helden der Nacht» im Pistenfahrzeug durch die Aletsch Arena
Es ist kurz vor 17 Uhr in Aufenthaltsraum unter der Talstation der Bettmerhornbahn. Die sechs Pistenfahrzeugfahrer, die diese Nacht auf dem Gebiet der Bettmeralp im Einsatz sind, treffen sich zur Arbeitsverteilung. Ihr Chef Marco Käser, ein gebürtiger Schinznacher, verteilt die Aufträge, weist die Fahrer auf spezielle Vorkommnisse hin. «Kevin, Du musst noch warten, sie sind noch am Sprengen», sagt Käser. Und weiter: «Raphi, Du macht den Fun-Park fertig. Sämi, du bearbeitest die Rennstrecke. Geb dir Mühe, morgen gibt es dort ein Fotoshooting.» Pünktlich um 17 Uhr besteigen die Fahrer ihre eindrücklichen Maschinen und fahren gemeinsam los. Sehr zur Freude vieler wartenden Kinder und Erwachsenen, die sich das tägliche Spektakel nicht entgehen lassen wollen.
Kevin aus Sissach (BL) ist mein heutiger Fahrer. Nach einer kurzen Begrüssung und einer Kontrolle besteigen wir den «Leitwolf» – das silberne Prinoth-Fahrzeug – mit 530 PS. Es ist das leistungsstärkste Pistenfahrzeug der silbernen Flotte und jeder Herausforderung gewachsen, wie mir Kevin in den kommenden Stunden auf Fusswegen, Schlittel- und anderen Pisten mehrfach beweisen wird.
Er fährt im ersten Jahr Pistenfahrzeug auf der Bettmeralp. Vor und nach der Saison arbeitet Kevin wieder beim Strassenunterhalt der Nationalstrassen der Nordwestschweiz. «Ich bin mir Nachtarbeit und Kälte gewöhnt», sagt der Baselbieter. Er wurde als kleiner Bub in den Skiferien auf der Lenzerheide mit dem «Pistenbully-Virus» infiziert «Als die mächtigen Fahrzeuge beim Eindunkeln die steilen Pisten hinauffuhren, schlug schon damals mein Herz höher», gesteht er. «Dieses Gefühl habe ich noch täglich, wenn ich ins Fahrzeug steige.»
Der Führerausweis der Kategorie B ab 18 Jahren, technisches Verständnis, liebe zum Schnee und die Bereitschaft, während der Nacht zu arbeiten, sind die Voraussetzung zur Ausübung dieses Berufs. «Eine Pistenraupen-Fahrschule gibt es nicht», sagt Kevin. «Man lernt von andern und aus eigenen Erfahrungen. Je schneller, desto besser.» Fahrzeugführer brauchen aber einen Ausbildungsnachweis von einem Kurs von Seilbahnen Schweiz, der mit einer praktischen, schriftlichen und mündlichen Prüfung erlangt werden kann.
In der Zwischenzeit haben wir bereits mehrere Wanderwege und Teile von Pisten präpariert. Ein Lenkrad suche ich vergebens im «Leitwolf». Kevin steuert mit der linken Hand die beiden Fahrzeugraupen gekonnt und mit der rechten Hand und dem Joystick das mehrteilige Schild und die kräftige Fräse hinten. Mehrere Scheinwerfer sorgen für gute Sicht im Dunkeln. Die Pistenfahrzeuge sind mit einem GPS-Gerät (SNOW-sat) ausgerüstet, das die Schneehöhe misst. «Das hilft bei geringen Schneemengen enorm», sagt Kevin. Farben auf dem Display unterstützen den Fahrer zusätzlich. «Siehst Du die rote Fläche, da liegt weniger als 20 cm Schnee», erklärt er. Am «Blausee-Berg» hängen wir die Seilwinde an, fräsen die Piste auf und schieben Schnee nach oben. Mehrfach füllt Kevin kritische Stellen mit dem wertvollen Weiss. «Die Skifahrer schieben den Schnee morgen von alleine wieder nach unten», lacht Kevin. Nun zieht der Baselbieter mit dem Teppich hinter der Fräse die feinen Rillen. Stimmt das Bild, geht es weiter zum nächsten Ort. Diesmal zur beliebten Panoramapiste.
Einsam fühlt sich Kevin nicht in seiner geheizten Kabine. «Übers Handy oder über den Funk habe ich mit Crew-Kollegen Kontakt und das Radio sorgt für die musikalische Unterhaltung im Cockpit», erzählt er. Immer mittwochs zwischen 20 und 22 Uhr läuft auf dem Lokalradio RRO das Wunschkonzert. «Es ist Tradition, dass wir Fahrer uns hier gegenseitig grüssen.»
«Helden der Nacht» werden die Männer mit dem typischen Cap und der darauf sitzenden Sonnenbrille mit Spiegelglas genannt. Sie arbeiten während fünf Tagen und präparieren jeweils die gleichen Pisten, danach wird gewechselt und der Fahrer hat zwei Tage frei. Als «Grooming Crew Aletsch Arena» bezeichnet sich die verschworene Gemeinschaft der 21 Fahrer, deren Chef Marco Käser von der Bettmeralp ist. Seit elf Jahren präpariert der Aargauer die Pisten in der Aletsch Arena. Immer mit Leidenschaft, und immer mit der gleichen Begeisterung wie an seinem ersten Arbeitstag.
Mehr als 500 000 Franken kostet ein Fahrzeug der Marke Prinoth oder Pistenbully. Nach 8000 bis 9000 Fahrstunden werden die Fahrzeuge durch neue ersetzt.
Irgendwann zwischen ein und drei Uhr in der Nacht sind die Pisten perfekt präpariert, die Fahrzeuge geputzt und in der Garage versorgt. «Manchmal essen wir dann noch zusammen etwas oder erzählen von besonderen Vorkommnissen», so Kevin weiter. Schneehasen, Füchsen, aber auch Gämsen begegnen die Fahrer regelmässig. An Skifahrern, die nach der letzten Pistenkontrolle noch die Hänge runtersausen, haben sie weniger Freude. Die Nachtruhe von Kevin ist kurz. Bei schönem Wetter geht er am Morgen meist auf die Piste, um sein Werk der Nacht aus der Nähe zu begutachten. Nach dem Mittagessen legt er sich nochmals aufs Ohr, um dann gestärkt und ausgeruht um 17 Uhr wieder seinen «Leitwolf» zu besteigen. «Ich verrichte die Arbeit», sagt Kevin mit Freude, «von der die Schaulustigen jeden Abend vor unseren Garagen, nur träumen.» Raphael Nadler
So können Sie im Pistenfahrzeug mitfahren
Die Aletsch Bahnen bieten in der Wintersaison jeweils am Montag und Mittwoch Mitfahrgelegenheiten im Pistenfahrzeug an. Jugendliche ab 10 Jahren bezahlen 60 Franken, Erwachsen 95 Franken (inkl. Mitfahrer-Zertifikat und Erinnerungsgeschenk). Das Angebot ist so beliebt, dass die Aletsch Bahnen eine Warteliste führen. Interessierte melden sich direkt per Mail an info@aletschbahnen.ch RAN