Regierungsrat schlägt Wechsel zur Einheitspolizei vor – Gemeindeammänner-Vereinigung und Repol-Konferenz sind dagegen
Der Kanton Aargau verfügt seit dem Jahr 2007 über eine duale Polizeiorganisation: Die 15 Regionalpolizeien gewährleisten die lokale Sicherheit, deren Inhalte im Polizeidekret definiert sind. Die Kantonspolizei ist verantwortlich für die Kriminalpolizei, das Bedrohungsmanagement sowie die Sicherheits-, Verkehrs- und Verwaltungspolizei, sofern nicht die Regionalpolizeien zuständig sind.
Wechsel zur Einheitspolizei
Im Entwurf des Planungsberichts hatte der Regierungsrat die Beibehaltung und Optimierung der dualen Polizeiorganisation vorschlagen. Dieser Vorschlag wurde in der Anhörung kontrovers diskutiert.
Gestützt auf die Rückmeldungen im Rahmen der Anhörung und aufgrund einer nochmaligen Überprüfung aller Vor- und Nachteile der beiden Optionen hat der Regierungsrat eine Neubeurteilung vorgenommen und schlägt neu einen Wechsel zu einer einzigen Polizeiorganisation im Kanton, der sogenannten Einheitspolizei, vor.
Die Neubeurteilung erfolgte insbesondere, weil der Regierungsrat ernsthafte Bedenken hat, dass die Zukunftsfähigkeit des dualen Systems angesichts der steigenden Herausforderungen und der Ressourcensituation mittelfristig noch gegeben ist. Die duale Polizeiorganisation ist aus Sicht des Regierungsrats bisher richtig und sinnvoll. Eine Weiterführung dieses Systems wäre in der jetzigen Form mittel- und längerfristig nicht mehr denkbar. Eine nachhaltige Optimierung würde tiefgreifende Massnahmen erfordern, die faktisch das duale System aushebeln würden.
Zusammenführung der Polizeiorganisationen
Der Wechsel zur Einheitspolizei soll durch eine Zusammenführung der Kantonspolizei und der 15 Regionalpolizeien erfolgen. Für den Regierungsrat ist dabei entscheidend, dass die Bedürfnisse der Gemeinden und der Angehörigen der Regionalpolizeien bestmöglich berücksichtigt werden:
Die Standorte der Regionalpolizeien sollen übernommen werden. Den Bürgerinnen und Bürger und den Gemeindebehörden soll die gleiche Anzahl polizeilicher Anlaufstellen zur Verfügung stehen, wie dies derzeit bereits im dualen System der Fall ist.
Für die Bürgerinnen und Bürger soll sich hinsichtlich der polizeilichen Leistungen im Bereich der lokalen Sicherheit nichts ändern.
Allen Angehörigen der Regionalpolizeien soll eine Stelle in der neuen Polizeiorganisation angeboten werden.
Erhöhung der Polizeibestände
Die Entwicklung der Polizeibestände im Kanton Aargau hat sich in den letzten Jahren an der Verhältniszahl von einer Polizistin oder einem Polizisten pro 700 Einwohnerinnen und Einwohnern orientiert, wie dies im Polizeigesetz vorgeschrieben ist. Damit weist der Kanton Aargau im interkantonalen Vergleich die deutlich geringste Polizeidichte auf. Aus Sicht des Regierungsrats reicht der Bestand vor allem angesichts neuer Kriminalitätsformen nicht aus, um die Sicherheit im Kanton längerfristig zu gewähren und auch überregionale Notfallereignisse und Krisensituationen zu bewältigen. Der Regierungsrat schlägt zwei Leitsätze vor, um unabhängig von der zukünftigen Polizeiorganisation den Bestand an Polizeikräften deutlich aufstocken zu können.
Es ist vorgesehen, dass der Grosse Rat den Planungsbericht im ersten Quartal 2024 beraten und dabei die fünf Leitsätze für die Weiterentwicklung der Polizeiorganisation und der Polizeibestände im Kanton Aargau beschliessen wird. AG
Gemeindeammänner-Vereinigung und Konferenz der Regionalpolizeien sind gegen Systemwechsel
Gemeinsame Stellungnahme der Gemeindeammänner-Vereinigung des Kantons Aargau (GAV) und der Konferenz der Regionalpolizeien des Kantons Aargau (Repol-Konferenz) zur Botschaft des Regierungsrats zum Planungsbericht «Weiterentwicklung der Polizeiorganisation und der Polizeibestände» vom 18.Oktober 2023
In der GAV sind die Aargauer Gemeinden vertreten, die Repol-Konferenz vertritt die Interessen der 15 Regionalpolizeien auf politischer Ebene. Die beiden Organisationen haben von der erwähnten Botschaft und dem Planungsbericht enttäuscht Kenntnis genommen und kommentieren diesen wie folgt:
Mit Erstaunen stellen wir fest, dass der Regierungsrat «aufgrund zwischenzeitlicher Entwicklungen» zu einem anderen Schluss gelangt ist als im Entwurf des Planungsberichts vom November 2022: nämlich einen Systemwechsel zur Einheitspolizei zu vollziehen. An der Ausgangslage hat sich innert Jahresfrist aus unserer Sicht nichts geändert. Zudem ist die Anhörung zum Berichtsentwurf differenziert ausgefallen; insbesondere hat sich der Grossteil der daran teilnehmenden Gemeinden für die Beibehaltung und Optimierung des dualen Systems ausgesprochen. Eine Abkehr davon wäre deshalb nicht gerechtfertigt.
Vorteile der dualen Polizeiorganisation
Die im Planungsbericht aufgelisteten Vorteile der heutigen Polizeiorganisation werden unterschätzt. Gemäss der 2021 durchgeführten Evaluation fühlt sich die Bevölkerung erwiesenermassen sicher, obwohl die Polizeidichte im Aargau vergleichsweise tief ist. Unsere Polizeiorganisation ist also wirksam und effizient. Dafür sorgt die flächendeckende Präsenz und Sichtbarkeit der Regionalpolizei im ganzen Kanton. Die insgesamt rund 350 Regionalpolizistinnen und -polizisten kennen die spezifischen Sicherheitsanforderungen in den verschiedenen Regionen. In städtischen Räumen mit ihrer Zentrumsfunktion sind diese anders als in ländlichen Gebieten. Zu den guten Orts-und Milieukenntnissen kommt die partnerschaftliche Zusammenarbeit mit anderen Blaulichtorganisationen–nicht zuletzt mit der Kantonspolizei. Die Professionalität der Regionalpolizistinnen und -polizisten ist durch die gleiche Ausbildung, wie sie die Kapo-Angehörigen geniessen, gewährleistet. Das duale System hat sich in den vergangenen 16Jahren bewährt.
Nachteile einer Einheitspolizei
Der Koordinationsaufwand für die beiden Polizeiorganisationen ist unbestritten ein Nachteil desdualen Systems. Aber: Ein Systemwechsel löst die Abgrenzungsprobleme nicht. Bestehende Schnittstellen würden nur verschoben statt aufgehoben. Gewisse sogenannte verwaltungspolizeiliche Aufgaben würden von der Kantonspolizei nämlich gar nicht übernommen, sondern müssten von den Gemeinden erfüllt werden. Der damit verbundene Aufwand ist nicht zu unterschätzen. In den Gemeinden entstünden Mehrkosten, unter dem Strich würden die polizeilichen Gesamtkosten steigen. Der Systemwechsel führt also zu einer Verteuerung. Auf die neuen Schnittstellen und die deshalb fragliche Effizienzsteigerung bei einem Systemwechsel hat der Regierungsrat selbst im Berichtsentwurf noch hingewiesen.
In der aktuellen Fassung des Planungsberichts ebenfalls nicht mehr erwähnt wird die Tatsache, dass die Gemeinden bei einer Einheitspolizei weniger zu sagenhätten. Die Mitsprache, wie die ortsspezifischen Sicherheitsbedürfnisse befriedigt werden sollen, entfällt. Insbesondere peripheren Regionen droht eine Schwächung der Polizeipräsenz. Eine Garantie, dass das bestehende Postennetz erhalten bleibt, enthält der Bericht explizit nicht.
Schliesslich wird im Bericht das Funktionieren des heutigen Systems wegen des rückläufigen Personalbestands bei den Regionalpolizeien infrage gestellt. Wir bezweifeln stark, dass die Zentralisierung der Polizeiorganisation den Arbeitskräftemangel lindern würde. Zu befürchten ist vielmehr, dass ein Systemwechsel grosse Unsicherheiten bei den Mitarbeitenden zur Folge hätte, was die Rekrutierung zusätzlich erschweren würde. Daran kann im Kanton Aargau, der mit seinem äusserst schlanken Personalbestand erst recht auf kompetente und motivierte Polizistinnen und Polizisten angewiesen ist, niemand ein Interesse haben.
Unter anderem wegen der personellen Unterbestände sei die «Zukunftsfähigkeit» der dualen Polizeiorganisation nicht mehr gegeben, meint der Regierungsrat. Die GAV und die Repol-Konferenz werden zu dieser Einschätzung in Kürze separat Stellung nehmen und aufzeigen, mit welchen Verbesserungen das heutige System sehr wohl eine Zukunft hat.